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Bernd Joppich, Lernertagebuch
29. November 2007, 11:09 pm
Filed under: Nicht kategorisiert

Wie ist das? Soll ich Schülerbeiträge korrigieren, bevor sie in die Internetzeitung kommen?

Die Antwort sah so einfach aus: Natürlich nicht. Wenn der unkorrigierte Text in der Zeitung steht, haben die Kursteilnehmer die gute Möglichkeit, sich über die Sprache auszutauschen (direkt im Gespräch oder per Blogkommentar). Und das Ergebnis dieses 14tägigen Austauschs ist dann eine verbesserte sprachliche Fassung. So habe ich das für mich am 12. November entschieden, im Hinblick auf den Kurs M2007, Niveaustufe B2.

Doch gestern habe ich für den Kurs D2007, in dem ich mit Ingrid Herrmann zusammen unterrichte, eine weitere Kurszeitung eingerichtet. Das ist ein Kurs, der erst seit eineinhalb Wochen existiert, Niveau A1, die meisten absolute Anfänger. Und als ich die ersten Texte – über die Heimatländer – hochladen wollte, geriet ich in ein Wechselbad der Gefühle. Sollte ich sie wirklich unkorrigiert veröffentlichen?

  • Die Kursteilnehmer sind sicherlich sehr stolz, dass sie nach so kurzer Zeit schon einen deutschen Text schreiben können. Wie reagieren sie innerlich darauf, wenn sie (eventuell später) erfahren, dass ihr Text „voller Fehler“ war?
  • Vielleicht schämen sie sich, wenn unter ihrem Namen „in der Öffentlichkeit“ Texte erschienen, die Fehler enthielten.
  • Manche werden nach dieser Erfahrung übervorsichtig reagieren und sich ihre Texte von kompetenten Bekannten vor der Veröffentlichung korrigieren lassen. Will ich das?
  • Die Kursteilnehmer haben in den vergangenen eineinhalb Wochen höchstens die Kompetenz aufgebaut, die Orthographie der vorkommenden Wörter zu beurteilen und, wenn es gut geht, die grammatische Korrelation von Subjekt und Prädikat.
  • Andererseits verbessern sie sich sprachlich im Kurs schon gegenseitig, etwa bei Gruppenarbeiten, und helfen sich im Wortschatz aus. Doch wie funktioniert das mit der Korrektur von Texten, die in der Zeitung stehen oder in die Zeitung kommen sollen?
  • Gegenseitige Korrektur ist eine feine Sache, sie stabilisiert die sprachliche Kompetenz. Den objektiven Blick gegenüber dem eigenen Text zu entwickeln, ist eine große Lernleistung und gehört zu den zentralen Zielen des Fremdsprachenerwerbs.

Ich merke: Die Kurszeitung ist – zumindest auf der emotionalen Ebene – eine andere Öffentlichkeit als das Plenum des Kurses. (In der Realität wahrscheinlich nicht, weil sowieso nur die Schüler und vielleicht ein paar Bekannte die Zeitung lesen.) Es ist etwas anderes, wenn man im Unterricht sich gegenseitig hilft, oder wenn man seinen Freunden oder Verwandten stolz den eigenen Beitrag präsentiert und dabei als Rückmeldung bekommt: „Das, das und das ist falsch.“ Das heißt, ich muss als Lehrer zwischen Klassen-Öffentlichkeit und Blog-Öffentlichkeit differenzieren. Ich muss meine Leute auch ein Stück weit vor öffentlicher „Bloßstellung“ schützen. Oder?

Das könnte in der Konsequenz auch bedeuten, dass man die Tagesarbeit nicht in einem Blog, sondern auf einer Plattform mit Passwort-Zugang abwickeln sollte, also in einer Art geschützter Öffentlichkeit, wie es der Kurs für die Lernenden ja auch ist: Tagesarbeit auf der Plattform, „Sonntagsarbeit“ (= Ausstellung für die allgemeine Öffentlichkeit) im Blog.

Interessanterweise hat es mir aber gestern gar nichts ausgemacht, einen Beitrag von Sharon aus der B2, der einige deutliche Fehler und Unklarheiten enthält, unkorrigiert in ihre Klassenzeitung zu stellen. Aus zwei Gründen: Sharon hat im Kurs bei Arbeiten schon viele gute Ergebnisse erzielt. Sie hat – wie ich denke – das nötige Selbstbewusstsein, mit der Erkenntnis umzugehen, dass ihr Text noch verbesserungsbedürftig ist.

Wie geht es weiter? Wahrscheinlich werde ich irgendwelche Kompromisse machen. In der A1 werde ich die ersten zwei oder drei Texte korrigieren, in der B2 werde ich wie verabredet mit den Texten verfahren.


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