Bernd Joppichs Weblog


Portfolio für Anfänger

Die lebendige Diskussion in unserer MMF3-Gruppe hat mich dazu animiert, Portfolio-Arbeit sofort in meinen Unterricht einzubeziehen, als ersten Versuch in möglichst einfacher Form und ohne ausführliche theoretische Fundierung.
Bisher habe ich Portfolios nie explizit zum Unterrichtsthema gemacht, sondern habe eher beiläufig darauf hingewiesen: „Der Text, den Sie gerade geschrieben haben, eignet sich sehr gut für ein Portfolio, mit dem Sie Ihre Lernfortschritte dokumentieren können.“ Das möchte ich jetzt unter dem Eindruck der Diskussion ändern, da ich die starke Hoffnung geschöpft habe,

  • dass die Kursteilnehmer sich ihre Lernfortschritte durch Portfolios deutlicher bewusstmachen können,
  • dass sie deutlicher sehen, wo sie sich gerade beim Erlernen bestimmter Fertigkeiten befinden („Das habe ich jetzt gelernt.“)
  • und dass sie so gelernte Fertigkeiten mehr schätzen lernen. („Das habe ich mir erarbeitet, darüber kann ich jetzt verfügen.“)

Diese Einsichten stärken ganz bestimmt die Lernmotivation und verändern sicher auch die Art des Lernens. Ich verbinde mit der Portfolio-Arbeit auch die Hoffnung, dass wir es schaffen, im Kurs etwas kreativer und vielleicht auch autonomer zu lernen.
Ich habe das Glück, dass an unserer Schule am nächsten Montag die neuen Kurse beginnen, und ich möchte diese Gelegenheit nutzen. Mir schwebt eine Art Spar-Version der Portfolio-Methode vor, unter dem Motto „Portfolio für Anfänger“.
Sie ist so aufgebaut:

  1. Jeder Kursteilnehmer sammelt in einer Mappe wichtige Dokumente, die er im Lauf des Kurses erstellt hat.
  2. Es gibt Reflexionsphasen im Unterricht über das Portfolio, die vom Lehrer initiiert werden.
  3. Der Lehrer ist an der Verwaltung des Portfolios mitbeteiligt.

Meine Rolle als Lehrer ist dabei folgende: Ich sorge als Lehrer nur dafür, dass ein Portfolio erstellt wird, aber ich bewerte es nicht.
Konkret: Ich beschreibe am Anfang des Kurses Sinn und Zweck der Mappe (Dokumentation des Lernwegs; effektivere Beschreibung des Lernfortschritts als durch reine Noten). Dann muss ich während des gesamten Kurses das Portfolio im Gespräch halten. Ich stelle mir vor (Punkt 2.), dass ich mindestens drei Mal während des Kurses ein reflektierendes Gespräch über die Portfolios anberaume. Die KT bringen ihre Mappen mit und sprechen in Vierergruppen darüber, warum sie den und den Text ausgewählt haben. Ich könnte als Berater zur Verfügung stehen, welche Texte noch brauchbar wären, welche weniger, was die Texte einem unbeteiligten Leser sagen könnten, etc. Wenn das beim ersten Mal nicht gleich in den Gruppen klappt – was ich erwarte -, wird das erste Gespräch ein Plenumsgespräch. Falls überhaupt keine Mappen mitgebracht werden, „theoretisieren“ wir, welche der bisherigen Aktivitäten sich für eine Dokumentation eignen würden. Ich bleibe auf alle Fälle an der Sache dran.
Da meine Schüler möglicherweise nichts ohne Noten oder irgendeine andere Art der Anerkennung machen wollen, muss ich mir ein System ausdenken, bei dem die Schüler einen Bonus erhalten, wenn sie eine Mappe erstellen. Aber die direkte Benotung der Portfolios schließe ich für mich strikt aus, denn dann kommt es bei meinen Leuten sofort dazu, dass die Aufgaben, die gesammelt werden sollen, von ihren Deutsch-muttersprachlichen Freunden oder Partnern gemacht werden.
Für meine Kurse habe ich mir folgendes Bonussystem überlegt: Wir schreiben normalerweise in einem Kurs acht benotete Tests; davon werden die beiden schlechtesten Noten gestrichen, und von den restlichen Noten wird die Durchschnittsnote gebildet. Um das Portfolio einzubeziehen, verschärfe ich diese Regel so: Alle vorhandenen Noten fließen in die Gesamtnote ein; aber wenn der Kursteilnehmer am Ende des Kurses ein vom Lehrer akzeptiertes Portfolio vorweisen kann, werden die beiden schlechtesten Noten gestrichen. Also: Man braucht irgendein System, in dem die direkte Benotung der Mappen vermieden wird, das dem Schüler aber doch irgendeinen „Vorteil“ bringt.
Wichtig ist mir – als autoritärem Lehrer, der die Zügel in der Klasse nicht aus der Hand geben will -, dass ich das Portfolio akzeptieren muss. Mit dieser Regel kann ich Sammlungen von einfachen Unterrichtsmitschriften oder kopierte Texte ausschließen.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass ich im Klassenbuch für jeden KT eine „Portfolio-Liste“ anlege, und jeder KT meldet seine Texte für diese Liste bei mir an. Das wäre ein gewisser Verwaltungsaufwand, würde aber möglicherweise dazu beitragen, dass das Portfolio im Gespräch bleibt.
Das Bild des autonom lernenden Kursteilnehmers, der sich unbeeinflusst und zweckfrei selbst bewerten kann, ist meiner Meinung nach ein nicht erreichbares Ideal. Als Lehrer greife ich in die Verwaltung der Portfolios so weit ein, wie es die Situation erfordert – je nachdem, wie erwachsen oder unreif meine Klasse lernen kann. – Vielleicht habe ich demnächst ja Glück, und es läuft mit dem Portfolio von selbst.
Sehr gut könnte man die Reflexionsphasen auch erweitern durch Evaluation der Lernfortschritte im Lehrplan, nach jeder Lektion oder jeder zweiten, so wie es Sabine Rathmann-Schneider in der Diskussion anmerkte. – In der Vorbereitungsphase möchte ich meinen Leuten konkrete Beispiele von Dokumenten oder Materialien zeigen, die für die Mappe geeignet wären. (Hier greife ich einen Diskussionsvorschlag von Caroline Wissa auf.) Ich kann zum Beispiel in der B1 locker auf die Text-Aufgaben verweisen, die in „studio d, A2“ den Vermerk „Ich-Texte schreiben“ tragen. Wenn es geht, möchte ich in dieser Phase aber auch die Teilnehmer dahin bringen, dass sie eigene Ideen entwickeln. (Mit welchem Material können Sie Ihren bisherigen Lernweg am besten einer fremden Person darstellen?“)
So weit meine Überlegungen zu Portfolios in meinen nächsten Klassen. Ob’s dazu kommt, hängt natürlich auch von meinen Kolleginnen ab, mit denen ich die Klassen zusammen betreue.

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